In der AIS-Methode werden weitgehend exzentrische Belastungen und ischämische Zustände vermieden. Schmerzen sind ein Signal, dass die Übung zu weit gegangen ist oder in seiner Ausführung geändert werden sollte. Weitere Unterschiede und Vorteile der Technik werden in diesem Beitrag angesprochen.

Active Isolated Stretching (AIS) vermeidet exzentrische Belastungen. Sie entstehen, wenn die Schwerkraft ins Spiel kommt und der Muskel sich zusammenzieht, während er gleichzeitig verlängert wird. Ein Trainingsbeispiel wie Bizeps-Curls veranschaulicht dies. Beim Heben der Gewichte ziehen sich die Bizepsmuskelfasern zusammen, sie werden kürzer. Beim langsamen Herauslassen der Bizepsbeugung und Senken des Gewichtes Richtung Boden werden die Muskelfasern (laut Freiwald hauptsächlich Titinfilamente, S. 43) verlängert oder gedehnt. Das nennen wir eine exzentrische Kontraktion. Wie bei der obigen Ausführung über die Muskelspindeln wollen wir eine Art „Tauziehen“ in den Muskeln vermeiden. Aus diesem Grund werden die meisten Dehnungen soweit möglich in einer neutralen anatomischen Position und ohne eine starke Einwirkung der Schwerkraft ausgeführt. Wenn wir zum Beispiel die hinteren Oberschenkelmuskeln dehnen wollen, machen wir die Übungen im Liegen und ziehen das gerade Bein mithilfe eines Bandes zum Kopf heran. Auch der empfindliche Nacken und die Wirbelsäule werden oft im Liegen statt im Stehen oder Sitzen gedehnt. Insbesondere bei Nackenbeschwerden und Bandscheibenerkrankungen ist größte Vorsicht geboten. Aus diesem Grund führen Sie die Dehnungen bei einem solchen Krankheitsbild im Liegen statt im Sitzen aus.

Ein weiterer Vorteil des AIS-Systems ist die Vermeidung einer lang anhaltenden Ischämie. Es ist bekannt (Freiwald, S. 33-34), dass sowohl beim Dehnen als auch bei Muskelkontraktionen myofasziales Gewebe, Blut- und Lymphgefäße sowie Nerven belastet werden und die Zufuhr von vitalen Nährstoffen eingeschränkt wird. Eine Ischämie entsteht. In Active Isolated Stretching wird die ischämische Belastung gering gehalten. Zudem wirken die sich wiederholenden Bewegungen wie eine Pumpe auf den Blut- und Lymph-Kreislauf aus. Die Zellenversorgung mit Blut, Sauerstoff und Wasser wird erhöht und die Abfuhr von Stoffwechselabbauprodukten durch das lymphatische und venöse System unterstützt. Wegen der kurzen Dehndauer wird das Gewebe auch nicht übermäßig oder für eine längere Zeit unter Druck gesetzt.

Schmerzen während oder nach Dehnübungen sind grundsätzlich zu vermeiden. Sie sind ein Signal des Körpers, dass etwas nicht in Ordnung ist oder dass wir uns zu sehr angestrengt haben. Wenn wir unseren Körper einseitig und wiederholt belasten, wenn wir die Schmerzgrenze öfters überschreiten, überhören, nicht darauf achten, werden unsere Muskeln nicht stärker, sondern eher das Gegenteil. Auch der berüchtigte Muskelkater, der einige Stunden oder am nächsten Tag nach einem anstrengenden Work-out oder Wettlauf sich meldet, ist nicht vorteilhaft. Schmerzen bedeuten, dass etwas verletzt wurde und im Zuge dessen fängt ein natürlicher Reparaturmechanismus im Körper an. Ein Entzündungsprozess wird in Gang gesetzt, Narbengewebe formt sich und die betroffenen Muskeln verkrampfen sich („muscle splinting“), um die verletzte Stelle während des Heilungsprozesses zu schützen.

Narbengewebe ist bekanntlich nicht so biegsam wie gesundes, unverletztes Gewebe. Faszie und Bindegewebe, welche die Muskelfasern, Knochen und Organen umhüllen, können nicht mehr leicht gleiten oder verschoben werden, wenn sie vom Narbengewebe durchsetzt sind. Adhäsionen und empfindliche Triggerpunkte im Körper können auch entstehen, die gleichfalls aufgelöst werden müssen. Durch die vielen Wiederholungen in AIS und die unterschiedlichen Dehneinstellungen je nach Gelenkart werden Kollagenfasern neu angeordnet und Verklebungen und Triggerpunkte gelockert oder beseitigt. Der Blutfluss und das lymphatische System werden auch angeregt, um den Entzündungsprozess zu beschleunigen und Gelenkschwellungen zu reduzieren.

Es gibt andere Vorzüge dieser Technik: Jede Wiederholung durch aktive Muskelkontraktionen ist gleichzeitig eine leichte Kräftigung der Muskulatur und des dazugehörigen Bindegewebes. Sie wärmt sowohl den Körper vor einer Aktivität auf und kann ihn auch nach einer anstrengenden Tätigkeit entspannen. Weil die Dehnungen langsam, rhythmisch und behutsam gemacht werden, beruhigen sie das sympathische Nervensystem. Weiterhin entsteht ein Trainingseffekt, wenn wir unsere Muskeln zielgerichtet in einer spezifischen Reihenfolge aktivieren und dehnen lassen. Alte Bewegungs- und Haltungsmuster, die festgefahren sind, um ein verletztes Gelenk oder Körperteil zu schonen, können durch die neu gewonnene Bewegungsfreiheit sich anders ausrichten. Unser kinästhetisches Empfinden ändert sich.

Referenzen:

Freiwald, J. Optimales Dehnen, 3., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, Spitta GmbH, 2020.